Integrative Zahnheilkunde (Archiv)

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Neuraltherapie

Von Stefan Weinschenk

Neuraltherapie bedeutet, dass bestimmte Körperpunkte mit kleinen Mengen von Lokalanästhetika (örtlichen Betäubungsmitteln) behandelt werden mit dem Ziel, Krankheitszustände günstig zu beeinflussen. Die Injektionsstellen sind vielfältig und hängen ab vom jeweiligen Krankheitsbild.

NTH: Eine Methode geht um die Welt

Es war niemand geringerer als Sigmund Freud, der im Jahr 1883 als erster die Heilwirkung von Lokalanästhetika entdeckte – ohne sie jedoch weiter zu verfolgen. Einige Jahrzehnte später machten der Franzose Leriche und die Deutschen Spieß und Schleich ähnliche Beobachtungen. Um 1940 beschrieben Ferdinand und Walter Huneke die Fernwirkungen von Lokalanästhetika.

Seit diesen Pionierleistungen können immer mehr Krankheiten erfolgreich damit behandelt werden – die Methode ging um die Welt und wird inzwischen in mehr als 30 Ländern praktiziert. Alleine im deutschsprachigen Raum wenden über 30.000 Ärzte in Praxen und Schmerzambulanzen die Neuraltherapie an, ca. 1.200 von ihnen haben eine vollständige zweijährige Ausbildung mit Zertifikat absolviert.

So wirkt Neuraltherapie

Die Neuraltherapie beruht auf einer ganzheitlichen Betrachtungsweise des Menschen: Sie stärkt die Selbstheilungskräfte des Körpers und aktiviert seine Regulationsfähigkeit – ist dieses Gleichgewicht gestört, treten Krankheiten auf. Die Neuraltherapie kann die Selbstregulation wieder herstellen.

Zahlreiche Studien untermauern die gute Wirkung der Neuraltherapie. Derzeit sind es vor allem Wissenschaftler an den Universitäten Bern, Heidelberg und Greifswald, die auf dem Gebiet der Neuraltherapie forschen. Die Wirkung der Neuraltherapie beruht nach den heutigen Erkenntnissen auf einem durchblutungsfördernden und entzündungshemmenden Effekt der Lokalanästhetika sowie auf ihrer direkten, schmerzlindernden Wirkung. Einige Forscher haben in der Neuraltherapie auch eine hemmende Wirkung auf Krebszellen nachgewiesen. Bekannt ist zudem, dass die Neuraltherapie über das vegetative Nervensystem (VNS) auch in entfernten Körperregionen wirksam sein kann. Das VNS verbindet den ganzen Körper wie ein Netz und spielt eine wichtige Rolle bei der Schmerzlinderung.

Die Neuraltherapie beeinflusst zudem die Funktion innerer Organe, des Immunsystems und psychische Prozesse. Auch funktionelle Störungen können mittels mit dieser Methode behandelt werden. Selbst bei zerstörten Strukturen entfaltet sie eine nachhaltige Wirkung: Sie verbessert die Durchblutung, lindert den Schmerz und stärkt die erhalten gebliebenen Funktionen. 

Unter anderem konnten bei folgenden Erkrankungen sehr gute Erfolge erzielt werden:

  • Augenerkrankungen: Glaukom, Entzündungen des vorderen Augenabschnitts
  • Gynäkologische und urologische Beschwerden: Zyklusstörungen, Dysmenorrhoe, Blasenleiden, chronische Entzündungen, klimakterische Beschwerden, Endometriose (im Frühstadium), HPV-Infektionen
  • Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen: Schwindel, Reisekrankheit, Tinnitus, Erkrankungen der Ohren und Nasennebenhöhlen (Sinusitis), Heuschnupfen
  • Zahnerkrankungen: chronische Kieferostitis (sofern chirurgisch nicht behandelbar), unklare Zahnschmerzen, Beschwerden nach Zahnbehandlungen
  • Hauterkrankungen: Neurodermitis, Allergien, Herpes, Zosterschmerz
  • Herz- und Kreislauferkrankungen: Herzrhythmus-Störungen, Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen
  • Erkrankungen im Bereich der Lunge: Asthma, chronische Bronchitis
  • Magen-Darm-Erkrankungen: chronische Gastritis, Durchfall, entzündliche Darmerkrankungen
  • Neurologische Erkrankungen: Kopfschmerz, Migräne, Gesichtslähmungen, Neuralgien (Trigeminus-Neuralgie), idiopathischer Gesichtsschmerz
  • Orthopädische Erkrankungen: LWS-Syndrom, Wirbelsäulenbeschwerden, Hexenschuss, Ischias, Arthrosebeschwerden, Gelenkbeschwerden, Schulter-Arm-Syndom, "Tennisellenbogen"

Die Behandlung

Nach Erhebung der Krankengeschichte und einer gründlichen Untersuchung erstellt der Therapeut einen Therapieplan. Dort hält er insbesondere fest, welche Punkte und Regionen für die Behandlung in Frage kommen. Diese können sich im Bereich der erkrankten Körperregion oder auch weiter entfernt vom Krankheitsgeschehen befinden, zum Beispiel in der Zahn-Kiefer-Region, in der Wirbelsäule, in der Bauchregion oder an Armen und Beinen.

Während der Patient behandelt wird, liegt er entspannt auf einer Liege oder sitzt abgestützt auf einem geeigneten Untersuchungsstuhl. Die Injektion – sie verursacht bei fachkundiger Durchführung wenig Schmerzen – wird durchgeführt und eventuell durch weitere Injektionen ergänzt. Ist der richtige Punkt getroffen, spüren manche Patienten eine sofortige Besserung ihrer Beschwerden („Sekundenphänomen“).

Die Kunst der Neuraltherapie besteht in dem „Gewusst wo“ der Injektion und in der richtigen Interpretation der Reaktionen, die durch die Behandlung ausgelöst wurden. Sie verlangt vom Therapeuten große Erfahrung und eine gute Beherrschung der Untersuchungs- und Behandlungstechnik.

Dauer der Behandlung

Bei akuten Erkrankungen werden Behandlungen alle 1–3 Tage durchgeführt, in der Regel sind 2–4 Sitzungen erforderlich.
Bei chronischen Erkrankungen erfolgt die Behandlung meist alle ein bis zwei Wochen, insgesamt sind 5–15 Sitzungen notwendig.
Eine Auffrischbehandlung nach Eintritt der Beschwerdefreiheit zur Erhaltung des Therapieerfolges kann ggf. nach einem halben bis einem Jahr notwendig sein.

Formen der Neuraltherapie

Es gibt verschiedene Formen der Neuraltherapie. Gut ausgebildete Ärzte beherrschen alle Verfahren:

Bei der "kleine Neuraltherapie" (Therapeutische Lokalanästhesie, TLA) quaddelt der Therapeut die Punkte der Haut meist im Bereich der Beschwerden oder in bestimmten zugehörigen Zonen (Reflexzonen).

Bei der "Triggerpunkt-Neuraltherapie" behandelt der Arzt schmerzhafte Punkte in der Muskulatur.

Bei der "Segment-Neuraltherapie" wird die Behandlung auf benachbarte Zonen im Bereich der Beschwerden ausgedehnt; diese Form umfasst auch die Injektion in Nerven.

Die "Störfeldtherapie" ist die hohe Schule der Neuraltherapie. Hier werden gestörte Areale des Körpers – so genannte Herde oder Störfelder - gesucht und behandelt, die an ganz anderen Stellen liegen können als die eigentlichen Beschwerden. Häufige Störfelder sind Narben, entzündete Zähne oder Organe (Nebenhöhlen, Rachenraum, Leber, Schilddrüse). Chronisch belastete Zonen (wie der Unterleib der Frau nach Geburten, operativen Eingriffen oder langjährigen Menstruationsbeschwerden) können ebenfalls Herdcharakter annehmen.

Nebenwirkungen und Reaktionen auf die Behandlung

Sie treten bei korrekter Durchführung selten auf. Um eine etwaige Unverträglichkeit von Lokalanästhetika auszuschließen, wird vor Beginn der Behandlung ein Allergietest durchgeführt. In manchen Fällen kann es zu Kreislaufreaktionen oder kleinen Blutergüssen kommen. Infektionen sind bei Verwendung von Einmalnadeln nicht zu befürchten.
Achtung: Patienten, die blutverdünnende Mittel nehmen (z. B. Marcumar), sollten nur von fortgeschrittenen Therapeuten behandelt werden.

Bestimmte Reaktionen auf die Behandlung sind von besonderer Bedeutung: So kann der Körper auf den Reiz reagieren, indem sich die Beschwerden vorübergehend verschlimmern (Erstverschlimmerung). Die Beschwerden nehmen meist nach kurzer Zeit wieder ab, gefolgt von einer deutlichen Verbesserung der Beschwerden.

Autor:

Dr. med. Stefan Weinschenk
Frauenarzt, Naturheilverfahren, Zytologie
Lehrbeauftragter der Universität Heidelberg

Bahnhofplatz 8
76137 Karlsruhe

www.biogyn.de