Integrative Zahnheilkunde (Archiv)

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Mundakupunktur

Von Jochen Gleditsch

Die Mundakupunktur hat sich seit Beginn der siebziger Jahre als wirksame Therapie durchgesetzt. Sie beruht auf einem Mikro-Akupunktur-Sytem (MAPS).

Das Phänomen somatotopischer Projektionssysteme ist eine relativ neue, westliche Entdeckung. Sie geht zurück auf eine Entschlüsslung der Ohrkartografie durch den französischen Arzt Paul Nogier im Jahr 1950.

Reflektorische, von Schleimhautpunkten der Nasenmukosa ausgehende, Fernwirkungen beschrieb erstmals 1893 der Berliner Arzt Fliess.

In ihrem diagnostischen wie therapeutischen Zugang kommen die MAPS dem westlichen Verständnis weit mehr entgegen als die Traditionell Chinesische Medizin (TCM). Doch stehen MAPS-Therapie und Körperakupunktur keineswegs in Konkurrenz zueinander, sondern sie ergänzen sich auf optimale Weise. Speziell in der Schmerztherapie und bei Störungen am Bewegungsapparat hat es sich bewährt, mit der MAPS-Therapie, bei spezifischen diagnostischen Fragestellungen eben gerade auch der Mundakupunktur, zu beginnen.

Bei Injektionen von Lokalanästhetika in die Mundschleimhaut im Rahmen neuraltherapeutischer Störfeldsuche erlebte ich oft überraschende und sofortige Besserung verschiedener Beschwerden. Zunehmend fielen Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge mit bestimmten Mundschleimhautpunkten auf. Die erzielten Fernwirkungen erwiesen sich als reproduzierbar.

Die Entdeckung und Entschlüsselung der Wechselbeziehungen von Zähnen und Kieferbereichen zum Organismus geht auf Voll und Kramer zurück (Odontontabelle).

Dank der biometrischen Messmöglichkeiten mittels Elektroakupunktur gelang es ihnen in den 1960 Jahren, die reflektorischen Beziehungen zwischen einzelnen Kieferabschnitten und den Meridianen der Akupunktur zu bestimmen. Sie beobachteten beim Beschleifen von Zähnen, dass, je nach Zahn bzw. Zahngruppe, bioelektrisch messbare Veränderungen an bestimmten meridianbezogenen Hauptpunkten der TCM auftraten. Diese Veränderungen des Hautpotentials waren zwar nur temporär, aber reproduzierbar, wenn jeweils gleiche Zähne traumatisiert wurden.

Die Gesamtheit der Mundakupunktur-Punkte ergibt ein Funktionsbild des Organismus auf einem klar umschriebenen Teilbereich, mit der Besonderheit, dass an den Mundpunkten nicht nur einzelne Meridiane, sondern ein Yin-Yang-Paar gekoppelt ist. Auf diese Weise sind enoral die „Fünf Elemente“, die heute als Regel- bzw. Funktionskreise des Organismus interpretiert werden, therapeutisch zugänglich.

Es zeigte sich, dass für die Vestibulumpunkte (Abb. 2.) die gleiche Zuordnung gilt wie aus den Zahn-Kiefer-Wechselbeziehungen gemäß der Elektroakupunktur nach Voll bekannt.

Darüber hinaus fand ich ein weiteres, sehr effektives Therapiefeld im Retromolargebiet. Dieses distal der Weisheitszähne beginnende sog. „Neuner Areal“ umfasst im Oberkiefer den Tuber maxilla und im Unterkiefer das Trigonum retromolare. Dieses Retromolargebiet enthält eine Anzahl spezifischer Mundpunkte auf engstem Raum mit breitem Wirkungsspektrum (Abb. 3). Über die Schleimhautpunkte in der Retromolarregion des Oberkiefers ist eine Therapie von Spannungskopfschmerzen, Funktionsstörungen an Schulter/Ellbogen und eine Entspannung des Musculus pterygoideus lateralis möglich. Die Punkte der Retromolarregion des Unterkiefers beeinflussen den Musculus pterygoideus medialis, sowie die Hals-Nackenmuskulatur, speziell im Bereich der Kopfgelenke und Nackenrezeptorenfelder.

Die Möglichkeit Fernwirkungen auszulösen, ist eine Stärke der Akupunktur. Entscheidend ist die Einschaltung übergeordneter, den ganzen Organismus erfassender Regulationsmechanismen. MAPS können als systemische Fernpunkte gelten, selbst wenn sie nahe am lokalen Krankheitsort gelegen sind.

Die klassische Akupunktur-Regel, bei akuten Erkrankungen vorzugsweise Fernpunkte und bei chronischen eher lokal-regionale Punkte einzusetzen, ist überholt. Durch die Erfahrungen mit der Mundakupunktur und anderen MAPS Therapien wird offensichtlich, dass in jedem Fall Fernpunkte einbezogen werden sollten, weil diese weit mehr die vernetzten und umfassenden Regulationsmechanismen ansprechen. Auch neurophysiologisch werden in diesem Fall zentrale Aktionen in Gang gesetzt, während die Wirkung einer lokalen Therapie über segmentale Reflexmechanismen – z. B. den Axonreflex – erklärt werden kann.

Die Wirksamkeit der Mundakupunktur ist inzwischen durch Studien belegt. Sie beziehen sich auf „Immediatwirkungen“ bei funktionellen Störungen und Schmerzen der HWS (Irnich, Behrens, Gleditsch; Schmerzambulanz LMU München, 1996) und auf gnathologische Dysfunktionen (Simma, Gleditsch; Kieferklinik der Universität Wien, 2001).

Literatur

Gleditsch, J.M.: MAPS MikroAkuPunktSysteme.
Grundlagen und Praxis der somatotpischen Therapie. Stuttgart: Hippokrates 2002.

Gleditsch, J.M.: Akupunktur in der HNO-Heilkunde.
2. durchgesehene Auflage. Stuttgart: Hippokrates 1999.

Gleditsch, J.M.: Reflexzonen und Somatotopien.
Als Schlüssel zu einer Gesamtschau des Menschen, 6. Auflage.  Schorndorf: Biologisch-Medizinische Verlagsgesellschaft 1996.

Gleditsch, J.M.: Mundakupunktur.
Ein Schlüssel zum Verständnis regulativer Funktionssysteme, 4. Auflage. Schorndorff: Biologisch-Medizinische Verlagsgesellschaft 1988.

Hieber, G.: Akupunktur in der Zahnarztpraxis.
Balingen: Spitta Verlag 2007

Irnich, D.; Behrens, N.; Gleditsch. J. et al.: Klinische Studie zum Nachweis von Soforteffekten verschiedener Akupunkturformen auf Schmerzen und Beweglichkeit der Halswirbelsäule.
Schmerzambulanz LMU München: 1996.

Kramer, F.: Elektroakupunktur in der zahnärztlichen Praxis.
Heidelberg: Karl F. Haug Verlag 1994.

Voll. R.: Kopfherde.
Diagnostik und Therapie mittels Elektroakupunktur und Medikamententestung. 4. Auflage. Uelzen: Medizinische Literarische Verlagsgesellschaft 1998.

Voll, R.: Wechselbeziehungen von odontogenen Herden zu Organen und Gewebssystemen.
4. Sonderheft der internationalen Gesellschaft für Elektroakupunktur, 3. überarbeitete Auflage, Uelzen: Medizinisch Literarische Verlagsgesellschaft 1973.

Autor:

Dr. med. Jochen Gleditsch

Hermann-Roth-Str. 12
82065 Baierbrunn